Spiritualität

“Gott ist so groß, dass er es wohl wert ist, ihn ein Leben lang zu suchen.” 
(Teresa von Avila)

Als Pfarrerin weiß ich, dass Menschen gerade in existenziellen Situationen vielfach auch religiöse Zusammenhänge herstellen. Oft haben sie das Bedürfnis, dem Erlebten in Ritualen Ausdruck zu verleihen. Spiritualität ist eine große Ressource, die dazu helfen kann, in schwierigen Situationen Kräfte zu mobilisieren, Veränderungsprozesse anzustoßen und Schwierigkeiten zu bewältigen. Es gehört zu meinem ganzheitlichen Bild vom Menschen, dass sie von meinen Klientinnen und Klienten angesprochen und angesehen werden darf.

Ich verstehe den Menschen durchweg als eine leib-seelisch-geistige Einheit. Er ist ein lebendes System, zu dem spirituelle, kognitive, emotionale und körperliche Funktionen gehören. Diese befinden sich ständig in Wechselwirkung miteinander und treten nach meiner Vorstellung vom Menschen niemals isoliert auf.

Dabei bemühe ich mich um einen möglichst weiten und offenen Blick für die Wahrnehmung von Spiritualität. Ich bin davon überzeugt, dass Gottes Geist / das Göttliche / das Heilige in unserer (Alltags-)Welt tatsächlich präsent ist. Gerne begleite ich Menschen darin, Spuren dieses Geistes /des Göttlichen/ des Heiligen in ihrem oft unspektakulären Alltag zu suchen, in der Natur, in der Musik oder Kunst, an ihrem Arbeitsplatz oder in ihrer Selbstwahrnehmung. Ich traue es Menschen grundsätzlich zu, nicht nur etwas über Gott zu lernen oder zu wissen, sondern Gott auch selbst zu erfahren.

Aufgezwungene Glaubenssätze helfen nicht weiter. Wer auch immer den Anspruch erhebt, im Besitz der ganzen Wahrheit zu sein, verhält sich absolutistisch und autoritär und trägt zur Entstehung von Faschismus bei. Spiritualität, so wie ich sie verstehe, hat dagegen immer auch eine kritische Note. Sie kann unser Schubladendenken erweitern, uns einen aufrechten Gang lernen. Sie hilft uns einüben, nicht demütig vor Autoritäten niederzuknien. Wahrheit, Erkennen entwickelt sich im Dialog und muss sich – so wie alles Lebendige – auch verändern und wandeln dürfen. Sie ist immer ein Prozess des Sich-Öffnens, sich Offenhaltens für das Andere, Fremde, keine vorgefertigte, aufgezwungene Wahrheit. Sie hat viel mehr mit „Staunen“ als mit „Gehorchen“ zu tun.